verOrtung - entNahme
Ausstellung
in Neuental-Gilsa, Gilsastr. 27+30
So., 24. August 2025, 11-18 Uhr
Handout
Virtuelle Tour durch die Ausstellung
Interaktive die beiden Asstellungselemente erleben: VTour
verOrtung
Der Holzbildhauer arbeitet mit Holz. Jedes Stück Holz, jedes Streichholz (so es ein Holzstreichholz ist), Holzkochlöffel oder Holztisch waren Teil eines Baumes und damit Teil des Wunders: Werden, Wachsen/Entfalten, Vergehen. Baum und Mensch sind gleichermaßen eingewoben in diesen Prozess.
Der Holzbildhauer arbeitet mit Holz.
Jedes Stück Holz in meiner Werkstatt hat seine Geschichte, hatte seinen Standort, seine Wachstumsbedingungen, seinen Boden, heiße und kalte, stürmische und ruhige Zeiten, den Moment der entNahme, hinterließ eine Lücke, die sich vielleicht neu füllte.
Der Holzbildhauer arbeitet mit Holz.
Jedes Stück Holz in meiner Werkstatt wurde von jemanden (beispielsweise von mir) wahrgenommen, aufgehoben, angeschaut, mitgenommen, in die Werkstatt gebracht.
Jedes Stück Holz ist Möglichkeit, Geheimnis und Schatz.
Jedes Stück Holz ist ein Angebot für eine Beziehung zwischen mir, meinem Leben, meinem Fühlen und Empfinden und dem, was sich im Holz manifestiert und ausgedrückt hat.
Jedes Stück Holz weckt in mir einen Impuls. Bei wie vielen Hölzern durfte ich diesem Impuls folgen und bei wie vielen Hölzern darf ich noch erleben, dass der Moment kommt, dass ich um eine Umsetzung dieses Impulses in eine Form ringen darf?
Jedes Stück Holz ist eine einzigartige Ausformung und zugleich Repräsentant von alldem für das „der Baum“ steht und sich in uns als Bild und Symbol in unserem Bewussten und Unbewussten entfaltet hat.
Wenn ich mit einem Stück Holz arbeite, dann arbeite ich mit einem konkreten Stück Holz. Ich spüre zugleich aber immer auch ein Stück von dem Reichtum, den mir (und uns) Bäume schenken. Jede Skulptur ist Suche und Versuch, Ahnung, dass Baum und Mensch, ich und das Holz mit dem ich arbeite etwas verbindet, das Holz (und damit Baum) Teil meines Inneren ist, das Gestalt werden will. Die fotografische Arbeit von Jürgen Bechtloff beleuchtet für mich eine andere Seite dieser Suche und ist dadurch Erweiterung und Möglichkeit zu einer neuen Sehweise.
Sind meine Skulpturen Ergebnis einer handwerklichen Tätigkeit, die deutlich in einem analogen wahrnehmen und umsetzen verankert sind, sind die fotografischen Arbeiten von Jürgen Bechtloff geprägt von den digitalen Möglichkeiten der Kamera und der weiteren Verarbeitung der Fotos im Computer. So entstehen neue, ungewöhnliche Einblicke und Perspektiven, die eine Erweiterung der vorhandenen Wahrnehmung bilden. Die bildliche Erfassung durch die digitalen Möglichkeiten spiegelt die Erfahrung im Wald und spielt mit Detail und Tiefe. In der Ausstellung bekommen die Skulpturen durch die Fotos, die Fotos durch die Skulpturen einen neuen Kontext. Beide Ausdrucksformen positionieren sich zueinander.
entNahme ist Teil des Zyklus von Leben und Voraussetzung für die Transformation zur Skulptur, erfährt dadurch Sinnhaftigkeit und kann berühren. verOrtung ist die Suche nach dem eigenen Ort, den der Baum noch hatte bevor er Holz und Skulptur wurde.
Die Ausstellung ist ein Schritt eines Prozesses von Sebastian Betz und Jürgen Bechtloff mit zwei sehr unterschiedlichen Ausdrucksformen (Skulptur und Fotografie) die Kraft und Vielfalt der Natur zum Ausdruck zu bringen in einer Zeit, die immer deutlicher von einer Verlagerung oder Erweiterung vom Analogen ins Digitale geprägt ist.
Beide Kunstschaffende verbindet eine tief verwurzelte Begeisterung und Faszination für die Natur, natürlich ganz besonders für: den BAUM.
entNahme
Unsere Wälder werden überwiegend forstwirtschaftlich genutzt. Das bedeutet, dass aus dem Waldbestand zum Zwecke der Durchforstung Bäume gefällt werden. Wenn wir den Wald besuchen und ihn wandernd durchstreifen, dann fallen uns solche Situationen oft schmerzlich auf. Wie lange hat der Baum gebraucht, um als Mitglied in der Waldgemeinschaft diese Größe zu erreichen? Warum hat man gerade ihn gefällt ? Was passiert mit dem Stamm?

Wir sehen nur noch das, was vom Baum bleibt: der Baumstumpf mit dem Sägeschnitt, der oft danebenliegende Fallkeil und der sich ergebende leere Raum bis hinauf ins Blätterdach. Dort hinterlässt der gefällte Baum eine Lücke, durch das nun Licht auf den Waldboden fällt. Der Baumstumpf schafft damit bei uns Emotionen: Hier fehlt das Individuum Baum. Um diese Situation stärker zum Ausdruck zu bringen, benutze ich für diesen Umstand/Zustand den Begriff der „entNahme“. Als Fotograf hatte ich nun den Wunsch, diesen leeren Raum durch entNahme fotografisch festzuhalten. Mit der Bildsprache eines Panoramas wird dieser Raum durch den Boden (Nadirbild), den Himmel (Zenitbild) und den Rundumblick (360°-Zylinderpanorama) ausgedrückt. Diesen leeren Raum kann ich als Betrachter bzw. Besucher betreten und den Platz des entnommenen Baumes einnehmen. So kann ich mich in den Baum hineinfühlen.
Im Mai 2025 habe ich bei einer Wanderung mit Hund und Kamera einen Ort im Wald bei 51.349433425712675, 8.340342979033284 gefunden. Ich habe diesen Ort sehr oft besucht, um dort eine für mich neue Art der Natur- und Landschaftsfotografie zu entwickeln. Damit wurde mir der Ort im Wald und seine Umgebung, der Weg dorthin und die verschiedenen Stimmungen immer vertrauter. Ich habe mir diesen Ort auf besondere Art „verortet“ - dazu später mehr.
Zeitgleich mit den Besuchen und fotografischen Erkundungen entstand die Idee einer fotografischen Installation:
- Nadir: das Bodenbild mit dem Stumpf im Zentrum
- Zenit: der Himmelsblick, der die Lücke im Blätterdach zeigt.
- der 360°-Ring (Zylinder) mit ca. 10° Blickwinkel
- ein Baumportrait aus dem unmittelbaren Sichtbereich im Format 6:1
Die Betrachter soll die Installation betreten. Er steht auf dem Baumstumpf, den Himmel mit der Lücke über sich und kann um sich herum, vollständig als Ring ausgeführt, in den Wald hineinschauen. Die horizontalen orientierten Fotografien werden räumlich durch ein vertikal orientiertes Baumportrait einer etwas im Hintergrund stehenden Buche ergänzt (Baum.schweifend). Der Betrachter kann für sich, seinen Gefühlen und Gedanken eine Verortung vornehmen. Wo stehe ich? Das, was man in der freien Natur im Wald unbewusst oder besser bewusst suchend als „Waldbaden“ bzw. japanisch „Shinrin Yoku“ bezeichnet, tun kann, kann man mit dieser Installation ebenfalls erleben. Tauche achtsam in die entNahme-Situation ein, fülle bewusst den leeren Raum und spüre…
Diese Installationsarbeit erleben Sie im Alten Saal bei Franziska Dörr und Gregor Scholz in Gilsa. Der Holzbildhauer Sebastian Betz hat mich eingeladen, diese Installation zu realisieren und sie in den Kontext seiner Skulpturen zu stellen. Das entnommene Holz erfährt eine analoge Transformation durch den Bildhauer zur Skulptur. Diese Transformation kann in dieser außergewöhnlichen Konstellation ganz neu erlebt werden. Die entNahme erfährt durch die schöpferische Transformation neue Sinnhaftigkeit, die berührt.